Sonntag, 7. Juni 2020

Landeskunde: Die drei Reichseiniger, das letzte Shōgunat und die Nachwirkungen - Teil 2

Im Teil 1 bin ich auf den Reichseinigungsprozess während der Azuchi-Momoyama-Zeit (1568-1603) sowie auf zwei der politischen Kontrollinstrumente des Tokugawa-Shōgunats eingegangen, die hinterher durchgeführt wurden.
Die drei Reichseiniger:
Nobunaga Oda, Hideyoshi Toyotomi und Ieyasu Tokugawa
Falls ihr den ersten Teil noch nicht gelesen habt, bitte hier klicken: 
Landeskunde: Die drei Reichseiniger, das letzte Shōgunat und die Nachwirkungen - Teil 1

Und nun zum Teil 2, worin ich darauf eingehe, wie das Ständesystem in der Edo-Zeit aufgebaut war (und was es vom Ständesystem in Europa abhebte), wie die Meiji-Restauration (1868-1890) den Plot Twist in der japanischen Geschichte einläuterte und was sowohl von der Edo-Zeit als auch von der Meiji-Zeit (1868-1912) alles erhalten geblieben ist.
Eine Karte von Japan während der Edo-Zeit (1603-1868)
Da will ich jetzt nicht weiter rumschnacken, also, let's go:

In der Edo-Zeit (1603-1868) gab es das Vier-Stände-System (士農工商, shinōkōshō), im Zuge dessen die Personen - je nach Beruf und Herkunft - ihre Positionen einnahmen. Dieses hierarchische System beruhte auf konfuzianischen Wertvorstellungen:

1) Den obersten Stand bildete der Schwertadel (武士, bushi): Ihm gehörten die Samurai, Daimyō und auch der Shōgun an. Die Samurai genossen eine Reihe von Privilegien, so durften sie z.B. Schwerter tragen und zusätzlich einen eigenen Familiennamen führen.
2) Den nächsten Rang im Ständesystem hatten Bauern (農民, nōmin) inne. Der relativ hohe Rang ergab sich aus ihrer produktiven Tätigkeit, hauptsächlich dem Reisanbau. Reis war zu dieser Zeit eine "Währung", die mit dem Geld koexistierte.
3) Die Handwerker (工, ) nahmen den dritten Rang ein.
4) Die Kaufleute (商, shō) standen auf der untersten Stufe, weil sie - im Gegensatz zu den Bauern - keine produktive Tätigkeit ausübten. Tüchtige Kaufleute konnten es, obgleich sie auf der untersten Stufe des Systems standen, zu Reichtum bringen.
Handwerker und Kaufleute wurden zusammen als Stadtmenschen (町人, chōnin) bezeichnet und waren maßgeblich an der kulturellen Entwicklung Japans beteiligt. Bauern wurden nicht als Bürger gezählt, was sich jedoch ab der Meiji-Zeit (1868-1912) änderte (Näheres dazu siehe weiter unten).

Eine Darstellung der Vier-Stände-Gesellsc
Entsprechend der konfuzianischen Prinzipien war ein Wechsel zwischen den Ständen eigentlich nicht vorgesehen, dennoch konnten die Grenzen in manchen Fällen verwischen, z.B. durch Heirat oder Adoption.

Oberhalb des Shinōkōshō standen die Adligen des kaiserlichen Hofes sowie die Geistlichen (sprich buddhistsiche Mönche und Shintō-Priester).
Unterhalb des Ständesystems waren die Pariagruppen (部落民, burakumin) - also die "Schmutzigen" (穢多, eta) und die "Nichtmenschen" (非人, hinin) - angeordnet.
Daraus leiten sich folgende Unterschiede zwischen der japanischen und europäischen Ständeordnung ab:
  • Die Bauern hatten in der japanischen Ständeordnung einen hohen Rang und standen nicht mit Bürgern auf einer Stufe
  • Klerus und Adel waren nicht im japanischen Ständesystem erfasst, während in Europa erst Klerus, dann Adel und dann die Bürger & Bauern kamen.
  • Die Bürger und Bauern hatten, anders als in Europa, in Japan keinen Familiennamen.
  • In Europa hatte man fast keine Möglichkeiten, den Stand zu wechseln, während in Japan die Grenzen innerhalb der Ständeordnung - wie bereits erwähnt - faktisch verwischen konnten
Jedenfalls wurde, durch die Meiji-Restauration (1868-1890), das Vier-Stände-System abgeschafft. Diese Abschaffung wirkte sich folgender Maßen aus:
  • Bauern gelten seitdem auch als Bürger
  • Die Samurai-Klasse wurde abgeschafft: Ehemalige Samurai gingen dann entweder in das reformierte Militär oder in die Bürokratie
  • Das Familiennamensystem gilt nun in ganz Japan für alle Menschen, nur die aus der Kaiserfamilie haben nach wie vor Mononyme
  • Die han (Fürstentümer) wurden in Präfekturen umgewandelt. Heute gibt es in Japan 47 Präfekturen, die von jeweils einem Gouverneur regiert werden. Aber trotzdem ist Japan kein föderalistischer Staat, sondern ein Zentralstaat.
  • Die Feudalzeit (1185-1868) war nun vorbei.
  • Das Shōgunat wurde abgeschafft. Yoshinobi Tokugawa, der 15. und letzte Shōgun, trat - aufgrund der Unzufriedenheit des Volkes und des Kaisers - bereits 1867 zurück, nachdem er 1866 zum Shōgun wurde. 
  • Nachdem das Shōgunat abgeschafft wurde, hatte der Kaiser wieder die alleinige Regierungsmacht inne, die er vor der Feudalzeit hatte - bis er durch die Nachkriegsverfassung 1946 komplett generfed wurde.
Ein Bild über einige Ereignisse im Zuge der Meiji-Restauration
Fazit: Die drei Reichseiniger sowie das Tokugawa-Shōgunat legten den Grundstein für Japan als zentralistischen Einheitsstaat, wie man es heutzutage kennt. Der Unterschied zum heutigen Japan besteht u.a. darin, dass bis zum Ende der Edo-Zeit immer noch der Feudalismus herrschte. Trotz der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen durch die Meiji-Restauration ist Japan nach wie vor ein zentralistischer Einheitsstaat.
Des Weiteren hatten die Bürger aus der Edo-Zeit die Entwicklung der japanischen Kultur geprägt.

Und nun seid ihr gefragt: Welche Themen wünscht ihr euch denn für die Rubrik "Landeskunde", auf die ich eingehen könnte? Schreibt eure Themenvorschläge ruhig gerne in die Kommentare.

PS: Hier gelangt ihr zu meinem ersten Blog-Artikel aus der "Landeskunde", in der es um die Rolle des Kaisers damals und heute geht:
--> Landeskunde: Was hat es mit dem japanischen Kaiser auf sich?

1 Kommentar:

  1. Wie immer toll und interessant geschrieben. 👌🏻 Da bekommt man gleich wieder Lust, sein Geschichtsbuch rauszuholen.

    Als nächstes wäre doch im Kontrast zur Edo-Epoche die Heian-Zeit interessant, da sie gerne als Japans "erste Blütezeit" bezeichnet wird und bereits hier viele literarische Werke und Traditionen ihren Ursprung haben. 😉 Am Ende kann man dann wunderbar zum Aufstieg der buke/des Schwertadels und zur Gründung des ersten Shogunates durch die Minamoto überleiten.

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